Philipp Schmerheim: Zwischen Simulation und Spiel. Transmediale Perspektiven auf das Kindertheater

In Benoît Sicats theatraler Inszenierung Le jardin du possible verschmelzen Zuschauer- und Aufführungsraum zu einer sich gegenseitig bedingenden Einheit. In einer von einem Gärtner gepflegten künstlichen Gartenlandschaft können die Besucherinnen sich hinsetzen und dem Treiben zusehen, aber auch selbst mit den vorhandenen organischen Materialien an der Gartengestaltung mitarbeiten. Das (kindliche) Publikum wird hier nicht nur Teil der Aufführung als bloße Zuschauende, sondern bringt diese als Mitwirkende erst hervor (vgl. ausführlich Heinemann 2016, 9-11). Der spielerische als-ob-Modus, Bestandteil jeglicher Theatererfahrung und -darbietung, erweitert sich bei Sicat zum Spiel als Motiv, das integral ist für die Hervorbringung der Aufführung, verstanden als "im weitesten Sinne kleinste strukturbildende und bedeutungsvolle Einheit innerhalb eines Textganzen" (Lubkoll 2008, 515). Der Spielraum des Theaters wird "Spiel-Raum" (Hentschel 2016, 26). Damit einher geht bei Sicat allerdings die Auflösung dramaturgischer Strukturen, wird doch keine Geschichte erzählt, sondern ein spielerisch strukturierter, non-narrativer Erfahrungsraum konstruiert.
Narrativ eingebettet ist das Spiel-Motiv hingegen in Michael Endes Märchenroman Momo, wird hier doch die Verbindung zwischen Theater, Kind und Spiel in literarischer Form verarbeitet: Die titelgebende Protagonistin zeichnet sich nicht nur durch ihre Fähigkeiten als Zuhörerin aus, sondern auch durch ihr Talent zum freien Spiel im Rund des alten Amphitheaters, in dem sie zuhause ist und mit den Kindern des Dorfes spielt. Das Theater wird hier buchstäblich zum Spiel- und Imaginations-Raum fiktionaler Figuren. Dieses freie, aus der kindlichen Einbildungskraft erwachsende Spiel wird in Momo kontrastiert durch das von Nutzungsvorgaben eingegrenzte Regelspiel mit der Spielzeugpuppe "Bibigirl", das es den Kinderfiguren geradezu verunmöglicht, im Spiel als solchem einzutauchen.
Der Vortrag lotet im Spannungsfeld dieser beiden Beispiele aus transmedialer Perspektive die Transformationen des Spiel-Motivs in Theater und Literatur aus – die Möglichkeit, das Spiel nicht nur als Wahrnehmungsmodus, sondern als Motiv spezifisch des Kindertheaters einerseits, als Motiv des Erzählens vom kindlichen Spiel anderseits zu begreifen.